Foto: Bernd Neubauer
Eine unglaubliche Geschichte –
und doch kein Märchen
Ich liebe Musik. Ich höre sehr viel Musik. Neulich hat mir mein Sohn auf der Auto-Fahrt Musik vorgespielt. Blues-Musik aus dem letzten Jahrhundert. Die mag ich sehr. Viele Lieder kannte ich. Dann kam ein Stück, das mir besonders gefiel, das ich aber noch nie gehört hatte. Auch der Name von dem Sänger sagte mir nichts: Rodriguez. Und wie sich herausstellen sollte, war das über viele Jahre das Schicksal von diesem tollen Musiker. Aber der Reihe nach.
Rodriguez? Erst dachte ich: wahrscheinlich ein Spanier oder Portugiese, weil mein Sohn die Musik aus seinem Portugal-Urlaub mit nach Hause gebracht hatte. Aber weit gefehlt. Rodriguez ist Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln. Daher der Name. Er hat vor gut 50 Jahren, Anfang der 1970er Jahre, 2 Schallplatten in den USA herausgebracht. Beide aber waren ein Flop. Das heißt: Kaum einer kaufte die Platten. Die Radios spielten die Lieder nicht. Bevor er bekannt werden konnte, war er in seiner Heimat schon wieder vergessen. Er arbeitete auf dem Bau, um sich und seine Familie zu ernähren. Hier könnte die Geschichte enden. Aber dann passierte etwas, womit niemand gerechnet hatte. Und schon
gar nicht Rodriguez.
Irgendwie war die Musik von Rodriguez nach Südafrika gelangt. Vermutlich auf einer kopierten Kassette. In Südafrika herrschte zu der Zeit noch die Politik der Apartheid, das heißt: der Rassen-Trennung, mit Vorrechten für die weiße, europäisch-stämmige Bevölkerung und ohne Rechte für die Einheimischen. Die Musik von Rodriguez wurde sehr viel von den Gegnern der Apartheid gehört. Sie mochten nicht nur seine Musik, sie mochten auch seine Texte. So wurde Rodriguez in Südafrika zu einem Star, den jeder kannte, der die Freiheit und Musik liebte. Nur einer wusste nichts davon: Rodriguez selbst.
Erst mit dem Ende der Apartheid 1994 änderte sich das. 2 Südafrikaner machten sich auf die Suche nach Rodriguez und drehten einen Film darüber (mehr dazu: hier). Am Ende dieser Suche hatten sie Rodriguez in seiner Heimatstadt Detroit in den USA gefunden. Es folgten ausverkaufte Konzerte in Südafrika. Die Menschen empfingen Rodriguez wie einen verlorengeglaubten Sohn. Lauthals sangen sie seine Lieder mit und feierten ihn.
Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil sie unwahrscheinlich schön ist. Weil es mehr als eine Geschichte ist. Weil wir mehr füreinander sein können, als wir voneinander wissen. In diesem Sinne: frohes neues Jahr!
Bernd Neubauer
Erschienen im DURCHBLICK Januar 2023