Fotos: Bernd Neubauer

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Schlimme Zeiten?

Ihnen liegt ein Thema besonders am Herzen? Mit dieser Ausgabe bietet der DURCHBLICK seinen Lesern die Möglichkeit, selber zu Wort zu kommen.
Heute: Leben wir in schlimmen Zeiten?

Im Flur meiner Großeltern hing ein Spruch an der Wand. Der lautete: „Die Leute sagen immer: die Zeiten werden schlimmer. Die Zeiten bleiben immer, die Leute werden schlimmer.“ Der Spruch ist von Joachim Ringelnatz, einem deutschen Schriftsteller. Er ist bereits 1934 gestorben.
Aber stimmt das eigentlich, was Ringelnatz da vor rund 100 Jahren schrieb? Leben wir nicht gerade in schlimmen Zeiten? In Zeiten von Corona? In Zeiten der Angst? Angst, seinen Job zu verlieren?

Angst, die Miete nicht mehr zahlen zu können? Angst, krank zu werden?

Angst kommt von Enge. Wer Angst hat, dem ist es eng um die Brust. Der fühlt sich beengt. In seiner Bewegung eingeengt. Angst lähmt. Lässt einen erstarren. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Ein Leben in Angst bringt alles zum Erliegen. Jeden für sich. Das wäre schlimm. Aber die Zeit kennt keine Angst. Nur der Mensch.

Der Mensch kennt aber auch die Sorge. Die Sorge macht weit. Man sorgt sich um jemanden. Um einen geliebten Menschen. Um die Welt, in der man lebt. Sich sorgen meint: sich kümmern. Da reichen schon kleine Zeichen.

Wie zum Beispiel die Plakate vom Literarischen Zentrum und der Musa, die seit Wochen in der Stadt hängen. Damit kann man zwar keine Rechnungen bezahlen. Sie fördern aber den Zusammenhalt unter den Menschen.

Wo die Ängste der Menschen nicht ernst genommen werden, bleibt die Sorge um den Nächsten aus. Da regiert verantwortungsloses Handeln. Wie besonders in den USA oder Brasilien. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass gerade dort die Lage am schlimmsten ist. Das kann einem Angst machen, nicht aber die Zeiten. Die bleiben immer – aber wir müssen deshalb nicht zwingend schlimmer werden.

Bernd Neubauer

Erschienen im DURCHBLICK August 2020